Krankenhaushalde in Gladbeck – Finger weg!

Messe noch nicht gelesen! Leserbrief von Matthias Raith
Der Gladbecker Jurist Matthias Raith nimmt zum vom Rat abgebrochenen Verkehrsversuch Stellung. Foto: Matthias Raith

Eine Stellungnahme von Matthias Raith

24.05.2023 – Krankenhaushalde  – Die Gladbecker Stadtverwaltung hat dem Planungsausschuss für die Sitzung am 25. Mai ihre Absichten zur Krankenhaushalde an der B224 zur Billigung vorgelegt. Ihre Ausführungen
https://gladbeck.more-rubin1.de/vorlagen_details.php?vid=230805100219
und die spontan auflodernde öffentliche Empörung
/a52-desaster-in-gladbeck-wer-zahlt-wenn-es-schief-geht/#comment-1623 verdienen ein paar Klarstellungen und Kommentare.

Die “Krankenhaushalde” ist über 100 Jahre alt

Der von der Zeche Moltke mitten in der Stadt künstlich geschaffene Hügel liegt unmittelbar südöstlich der B224. Er ist älter als 100 Jahre. Wie das zu Beginn des 20. Jahrhunderts üblich war, war er nicht nur Bergehalde, sondern Müllplatz für alle mehr oder weniger umweltschädliche Dinge, die man auf der Zeche nicht mehr brauchte. Die gesamte Oberfläche der Halde hat sich im Lauf der Jahrzehnte weitgehend ungestört zu einem einmalig dichten Hochwald aus verschiedenen Laubgehölzen entwickelt.

Halde der Zeche Graf Moltke 1-2
Um diese Halde geht es. Sie grenzt an den Festplatz, auf dem jetzt eine Flüchtlingsunterkunft steht (rechts unten) und zieht sich über die Steinstraße bis hin zur Schützenstraße. Oben links sieht man einge Fahrzeuge auf der B224. Foto: Neue Gladbecker Zeitung

Die Halde hat eine Grundfläche von ca. 29.000 m² und ist ca. 10 bis 12 Meter höher als das umliegende Gelände.  Ausweislich der mir vorliegenden Berechnungen hat sie einen Inhalt von ca. 158.000 m³. Bei einer Materialdichte von ca. 2 to/ m³ ergibt das ca. 317.000 Tonnen, die bei einer Abtragung zu verlagern wären. Die Kosten für das gesamte Handling einschließlich Endlagerung dürften sich bei den heute aktuellen Marktpreisen auf mindestens 75 Euro pro Tonne belaufen. Im Zweifel wird das aber teurer, weil das zu erwartende kontaminierte Material teilweise als Sonderabfall zu behandeln ist und weil Deponieraum der unterschiedlichen Art für die anfallenden Mengen im näheren Umkreis nicht zu finden sein wird.


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Das abzutragende Material der “Krankenhaushalde” muss untersucht werden

Außerdem müssen Abtragung, Transport und neue Ablagerung behördlich genehmigt werden, und zwar u. a. unter Vorlage von qualifizierten Bodengutachten für den gesamten Haldenkörper, also auch für das Innere der Aufschüttung. Das wird zusätzlich sehr kostspielig, denn vor der Hacke ist es auch im Tagebau ziemlich düster. Nicht zuletzt müsste bei der Abtragung jeder Lkw von Fachleuten geprüft, dokumentiert und entsprechend der Qualität seiner Ladung für die ein oder andere weitere Verbringung freigegeben werden. 30 Mio. Euro dürfte der Spaß, den uns die Stadtverwaltung aufbürden möchte, insgesamt mindestens kosten.

Warum “Krankenhaushalde”?

Die ehemalige Bergehalde der Zeche Moltke 1/2 wurde im 2. Weltkrieg zu einem Notkrankenhaus ausgebaut. In ihrem Inneren gibt es einige, nicht mehr passierbare, Stollen und Räume. Die Zugänge sind verschlossen worden.

Die in der Verwaltungsvorlage faktenfrei gepriesene europäische Fördermöglichkeit ist reine Augenwischerei. Ein Blick in die Unterlagen der EU zeigt, dass das zitierte Programm deutlich beschränkt ist und eigentlich nicht greifen kann. Eine wie auch immer erreichte staatliche Förderung könnte in jedem Fall nur einen Teil der Kosten abdecken. Für den verbleibenden Löwenanteil hat die Stadt nicht ansatzweise genügend Geld.

Ist die Krankenhaushalde mit Blindgängern “angereichert”

Die Ausführungen der Verwaltung zu den Gefahren der Halde durch Tagesbrüche etc. liegen neben der Sache. Das mir vorliegende, optisch vom Bewuchs befreite topografische 3-D-Modell zeigt deutliche Vertiefungen und Krater auf der Oberfläche. Sie stammen entweder von Bombeneinschlägen oder eben von Absenkungen. Das Bildmaterial deutet im Übrigen auch auf Blindgänger hin, also auf Kriegsbomben, die beim Aufschlag nicht detoniert sind. Die Suche nach ihnen und ihre Entschärfung wird die Abtragung der Halde zusätzlich erschweren.

Da die Halde gesperrt ist, besteht durch keine der genannten Gegebenheiten irgendeine Gefahr für Menschen. Solange man die Halde in Ruhe lässt. Jedenfalls kann der Eigentümer wegen des von ihm ausdrücklich verbotenen und durch Barrieren gesperrten Verkehrs auf der Halde nicht unter dem Gesichtspunkt einer Verkehrssicherungspflicht zur Haftung für Schäden Dritter herangezogen werden.

Die technisch, ökologisch, stadtplanerisch und wirtschaftlich einzig vertretbare Möglichkeit besteht darin, die Finger von der Halde zu lassen.

Hinzu tritt: Die Stadt Gladbeck betreibt mit ihrem Antrag aus zwei Gründen eine unerlaubte Einmischung in fremde Angelegenheiten.

  1. Die Stadt ist noch nicht einmal Eigentümerin der Halde. Mir vorliegende amtliche Unterlagen weisen den Essener Thyssenkrupp-Konzern als Eigentümer aus. Schon deshalb ist mir das für den Planungsausschuss wortreich auf sieben DIN A 4-Seiten dokumentierte Engagement der Stadtverwaltung völlig unverständlich. Eine Abstimmung oder gar eine belastbare Vereinbarung mit dem Konzern zu Eigentum und Kosten ist nicht bekannt.Die den Ratsmitgliedern abverlangte, kommentarlose „Kenntnisnahme“ würde nach den Regeln des Verwaltungsrechts (eine ziemlich bauäugige) Zustimmung zu den offengelegten Absichten und immanent auch die Billigung aller weiteren, teuren Maßnahmen bedeuten.
  1. Die Umweltuntersuchung der Halde und ist zwingender Teil der immer noch nicht offengelegten Planung für Bau und Betrieb einer A52 durch Gladbeck. Das ist ausschließlich Sache des Bundes. So jedenfalls steht es in Art. 90 Grundgesetz. Die Stadt Gladbeck würde sich mit dem beabsichtigten Artenschutzgutachten und erst recht mit einer Abtragung der Halde auf ihre Kosten unzulässiger Weise in die exklusive Zuständigkeit des Bundes einmischen.

Fragwürdiges Gutachten war maßgeschneidert

Die zunächst 2007 /2008 im Auftrag des Bundes erfolgte, inzwischen reichlich überalterte Umweltuntersuchung für die A52 auf Gladbecker Stadtgebiet umfasst zwar räumlich die gesamte Haldenfläche. Erstaunlicherweise bewertet das zuletzt im Jahr 2016 öffentlich dargestellte Gutachten die Natur auf der Halde aber nicht. Das riecht nach plumper Gefälligkeit für den Auftraggeber. Offenbar hätte die Bewertung der Natur auf der Halde (ebenso wie die ebenfalls fehlende Bewertung der Auswirkungen auf den Wittringer Wald) die Priorisierung der Nutzung der B224 für die neue Autobahn zugunsten einer Trassierung durch die Heege verhindert.

Dennoch hatte sich der damals noch im Auftrag des Bundes zuständige Autobahnbetrieb des Landes auf die Zerschneidung von Gladbeck festgelegt. Grund war letztlich der unredliche Reisebericht des damaligen Bürgermeisters von einem angeblich im Herbst 2015 in Berlin „endverhandelten Vertrag“ mit dem Bund. Der ist in Wahrheit nie verhandelt und schon gar nicht geschlossen worden.

Hierzu eine groteske Anekdote:

Bei der Präsentation des UVP-Gutachtens im August 2016 haben freundlich eingeladene Autobahngegner moniert, dass der Wald auf der Halde nicht geprüft worden sei. Ein ebenfalls anwesender Vertreter der SPD hat daraufhin dem Gutachter zur Verblüffung der Anwesenden auf wahrlich unglaubliche Art das Wort abgeschnitten. Es komme, so meinte er, auf die Natur im Bereich der Halde nicht mehr an, weil sie ja abgetragen werden solle.

Dass der grobe Fehler im Gutachten bislang nicht weiter moniert wurde, hat einen triftigen Grund. Nach der ständigen Rechtsprechung des hier zuständigen Oberverwaltungsgerichts Münster ist neben einer falschen Abschnittsbildung ein falsches UVP-Gutachten der sicherste Weg, die Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses und einen Baustopp zu erreichen. Diesen Trumpf dürfen sich die Autobahngegner eigentlich nicht durch vorschnelles öffentliches Monieren aus der Hand nehmen lassen. Jetzt aber kann das Schweigen getrost beendet werden. Denn kein seriöser Entscheider glaubt noch wirklich an den innerstädtischen Bau der aus der Zeit gefallenen A52.

Stadt Gladbeck ist gar nicht zuständig

Es kommt noch heftiger: Das für die Bürger teure Engagement der Stadtverwaltung für eine mögliche A52 ist im Kern der Einsatz für eine Wette auf eine zukünftige A52-Entscheidung des Bundes. Das dürfte rechtlich unzulässig sein. Die Stadt darf die ihr anvertrauten Steuermittel nicht für Hilfestellungen an den Bund verwenden. Ihre Mittel dienen nur zur Erledigung kommunaler Aufgaben – und eben nicht zur Finanzierung von Aufgaben des Bundes. Deshalb darf die Stadtverwaltung auch den Rat nicht mehr oder weniger trickreich zu ihrem Mitstreiter bei ihrem nicht ganz legalen Treiben machen.

Was die Verwaltung versucht, ist nicht nur rechtlich fragwürdig. Ein solches Vorgehen gehört sich nicht für bezahlte Angestellte. Der Beschlussantrag ist ein deprimierendes Zeugnis ihres mehr als fragwürdigen Umgangs mit den gewählten, ehrenamtlich tätigen Repräsentanten der Stadtgesellschaft.

Bitte lesen Sie auch:

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Niemand möge von mir eine Stellungnahme zu den angeblich positiven Aspekten der Haldenbeseitigung erwarten. Sie werden in der Vorlage über mehrere Seiten wortreich beschrieben sind. Sie sind insgesamt ein Zeugnis unredlicher Hilflosigkeit. Sicherlich ist kein Ausschussmitglied so einfältig, dass er auf die reklamehaften Anpreisung einer zukünftigen, aus der Luft gegriffenen Nutzung hereinfällt. Der Verwaltung geht es damit nur darum, vom eigentlichen Zweck ihres Vorhabens abzulenken. Sie will die A52 um jeden Preis. Und dafür mischt sie sich mit einer angemaßten Parallelbeplanung eines fremden Grundstücks in die Planung des Bundes ein.

Niemand möge von mir auch eine Erklärung erwarten, was die Chefs im Rathaus wirklich umtreibt. Den in der Ausschussvorlage schlecht versteckte, ziemlich unüberlegte Versuch zur Übertölpelung des Rates kann ich mir nüchtern betrachtet leider nicht erklären.

Welche Gründe könnte es für das Vorhaben geben?

Ist es kindliche Lust an einer noch so irrealen, großmannssüchtigen und rücksichtslosen Stadtplanung? Steckt hinter der Missachtung von Menschen und Umwelt die trotzige Freude an der Schädigung der Stadt zugunsten des internationalen Fernverkehrs? Weil der in Deutschland über alle Vernunft, die Interessen der Menschen, die Klimakrise und die Bewahrung der Natur erhaben zu sein scheint? Glauben die Strategen im Rathaus wirklich, sie könnten eine milliardenschwere Entscheidung des Bundes durch kleine Liebesgaben aus Gladbeck beeinflussen?  Oder sollte man einfach der Spur des privaten Geldes folgen? Will sich vielleicht nur der ein oder andere, in der oberen Etagen des Rathauses angesiedelte Kommunalbedienstete mit der Verfolgung des von ihm ausgedachten Großprojekts für besser bezahlte Stellen in größeren Städten empfehlen?


Polizeibericht aus Gladbeck Mitteilungen der Stadt Gladbeck

5 Kommentare

  1. Schön, ob es die entsprechenden Leser-Innen auch verstanden haben ?
    Ist nur zu hoffen !!
    Ich glaube eigentlich schon lange nicht mehr an die V E R N U N FT
    IM SPD-Rathaus und in der örtlichen Politik !

  2. Dass im Gladbecker Rathaus die Kompetenz in einigen Bereichen nicht vorhanden ist, sollte keinen Bürger wundern.

    Aber dieser Unsinn, mit dem Abtragen der Halde, setzt allem die Krone auf.

  3. Dem ist wohl nur noch wenig hinzuzufügen… Vielleicht nochmal der Hinweis, dass mit der Verlängerung der U11 von Horst nach Gladbeck -Ost ein großer Teil der Pendler nach Essen hervorragend bedient würde. Für einen Bruchteil der Kosten, die das Abtragen der Halde verursachte und stadtplanerisch wesentlich sinnvoller durch die Aufwertung des Oberhofs.
    Wann traut sich eine Partei im Stadtrat denn endlich mal, die Verwaltung damit zu beauftragen??? Auch damit könnten sich doch die “oberen Etagen” sicher karriere-mäßig positionieren…

  4. OB diese Abhandlung unsere Vertreter*Innen des Gladbecker Volkes sich
    überhaupt durchgelesen haben ?
    Heißt: sich informiert haben – im Gesamten – ??
    Warum bereits jetzt schon “Druck” hinter dem Abriss dieser Halde gemacht
    wird ??
    Es wird in Gladbecks Verwaltung immer kurioser !!
    Wo man Geld, das man nicht hat , ausgeben kann
    da ist diese SPD Verwaltung
    vorneweg dabei !!
    Da kann einem nur noch speiübel übel werden !

    • Sehr geehrter Herr Kill,
      den Artikel haben seit gestern Nachmittag 410 Leute gelesen.
      Sie können gewiss sein, dass sich der von Ihnen angesprochene Personenkreis z.T. darunter befindet. 😉

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