Regierung lässt die Zahlen „schönrechnen“ – Alleinerziehende fallen raus
Eine Kurzanalyse zum aktuellen Arbeitsmarktbericht NRW Januar 2022 (von Jürgen Aust)
05.02.2022 – Arbeitslosenzahl – Die Arbeitsagentur NRW wird trotz weiterhin schlechter Zahlen nicht müde zu behaupten, der Arbeitsmarkt befinde sich auf einem „Erholungskurs“. Tatsächlich liegt auch im Januar 2022 die tatsächliche Arbeits- bzw. Erwerbslosigkeit in NRW bei 873.830 Personen. Trotz eines Arbeitslosenrückgangs von 97.450 Personen (Zahl der „Unterbeschäftigten“) im Verhältnis zum Januar 2021 damit in einem Bereich, der auch nicht ansatzweise einen Anlass zur Euphorie geben sollte. Dies veranlasst die politischen Akteure der NRW-Arbeitsmarktpolitik jedoch in keiner Weise, entschiedene Maßnahmen für eine deutliche Kursänderung zu ergreifen.
Arbeitslosenzahl und Durchhalteparolen
Im Gegenteil, sie verbreiten auch weiterhin Durchhalteparolen und einen unbegründeten Zweckoptimismus, wenn der Geschäftsführer der Regionaldirektion NRW, Torsten Withake, zu den aktuellen Arbeitslosenzahlen erklärt: „Im Januar hat sich die Zahl der arbeitslos gemeldeten Menschen besser entwickelt, als wir es erwarten konnten….Der Arbeitsmarkt zeigt sich trotz der aktuellen Einschränkungen des Wirtschaftslebens…..weiterhin stabil.“ Allerdings unterschlägt er bei seiner Euphorie den nicht unbedeutenden Hinweis, dass die Arbeitslosigkeit im gesamten Jahr 2021 durchschnittlich offiziell registrierte 725.623 Personen betraf.
Gladbeck liefert immer noch die schlechteste Zahl ab
Für Gladbeck nennt die Bundesanstalt für Arbeit für den Monat Dez.2021 eine Arbeitslosen-Quote von 10,3 %. Das sind 3.983 Personen. Damit ist Gladbeck nach wie vor Spitzenreiter im Kreis RE, gefolgt von Herten und Marl mit jeweils 9 %. Die niedrigste Quote verzeichnet Haltern am See mit drei Prozent. Über alle zehn Kreisstädte beträgt die Quote 7,7 %. Berücksichtigt man die Zahlen der nicht Arbeitslosen, die von der Statistik ausgeschlossen sind, dann liegt die Quote in Gladbeck um 2 bis 3 % höher als von den Behörden angegeben.
Man könnte schon fast von Realitätsverweigerung sprechen, aber es gehört erfahrungsgemäß zur üblich gewordenen Propaganda, schlechte Verhältnisse schönzureden, um die deutsche Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik im europäischen Kontext weiterhin als vorbildlich und erfolgreich darzustellen. Denn der Rückgang der offiziell registrierten arbeitslosen Menschen im Verhältnis zum vergleichbaren Vorjahresmonat hat alles andere zu tun, als mit einer veränderten und an den arbeitslosen Menschen orientierten Arbeitsmarktpolitik.
Arbeitslosenzahl: Kurzarbeit wird beschönigt – hohe Einkommensverluste
Zu dieser Art von neoliberalen Propaganda gehört auch die Beschönigung von Kurzarbeit. Für den Monat Oktober 2021 (letzter offiziell erfasster Monat) sind 131.018 Menschen in Kurzarbeit registriert, die in 20.430 Unternehmen gearbeitet haben. Mit Kurzarbeit ist ein massiver Einkommensverlust verbunden – in den ersten drei Monaten werden nur 60 % des letzten Nettoeinkommens ausgezahlt. Deutschland liegt damit am unteren Ende der EU-Kernländer. Das darf dann selbstverständlich auch keinen Eingang in die offizielle Arbeitsmarktberichterstattung finden. Ganz zu schweigen davon, dass die Tausenden, denen dieser Arbeitsmarkt nur Minijobs in Form eines aufgeblähten Niedriglohnsektors zur Verfügung stellt, von den „Segnungen“ des Kurzarbeitergelds überhaupt nicht profitieren können.
Zur Arbeitslosenzahl im einzelnen:
Die offiziell registrierte Arbeitslosigkeit wird mit 670.733 Personen angegeben, während damit 203.097 Personen unterschlagen werden, weil sie nach neoliberaler Terminologie nicht zu den „Arbeitslosen“ gerechnet werden. Diese unterschlagene Zahl setzt sich im einzelnen aus 168.145 Personen im SGB II-Bezug (Hartz IV) und 35.796 Personen im SGB III-Bezug (ALG 1) zusammen. Sie befinden sich entweder in sog. Trainings- oder Weiterbildungs-Maßnahmen, gehören zu Alleinerziehenden oder sind kurzfristig arbeitsunfähig erkrankt. Alle von ihnen sind zwar bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern arbeitslos gemeldet, werden aber zur Bereinigung der Statistik als Arbeitslose nicht berücksichtigt.
Von den offiziell registrierten Personen sind 369.389 Männer (55,1%) und 301.342 Frauen (44,9%). 49.953 unter ihnen sind zwischen 15 bis unter 25 Jahre alt. 230.488 (34,4%) sind älter als 50 Jahre. Und obwohl die „Ausländer“ (offizielle Kategorie) an der Gesamtbevölkerung nur ca. 12 % ausmachen, liegt ihr Anteil mit 34,8% (233.158) weit über ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung.
Arbeitslosenzahl: Programm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit nur für 4 %
Die Langzeitarbeitslosigkeit liegt mit 318.798 Personen um 267 niedriger als im Januar 2021. Jedoch immer noch auf einem mehr als hohen Niveau. Trotz eines vor ca. drei Jahren vollmundig propagierten Programms zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit („Teilhabe am Arbeitsmarkt“) sind von diesem arbeitsmarktpolitischen Instrument in NRW aktuell gerade einmal 13.454 Personen in einem geförderten und sozialversicherten Arbeitsverhältnis (ohne Arbeitslosenversicherung!), also noch nicht einmal 4% der Menschen, die dringend in den Arbeitsprozess integriert werden müssten.
Nur 3% (!) erhalten eine berufliche Förderung
Im Gegensatz zur offiziellen Propaganda, die den Eindruck erzeugt, die Arbeitsmarktpolitik tue alles, um die arbeitslosen Menschen zu fördern (O-Ton: „Unser Ziel ist es, aktiv die berufliche Weiterbildung dieser Menschen zu fördern, bis hin zu vollwertigen beruflichen Abschlüssen“), sprechen die Zahlen eine deutlich andere Sprache. Obwohl von den arbeitslosen Menschen im Hartz IV-Bezug ca. 62 % (!) ohne berufsqualifizierenden Abschluss sind, erhalten nach aktuellem Stand lediglich 15.054 von ihnen eine berufliche Weiterbildung, also gerade einmal 3% (!) erhalten eine berufliche Förderung. Deutlicher kann sich die Propaganda eigentlich nicht selbst entlarven.
Zwei-Klassenrecht in der Arbeitsförderung
Bei der arbeitsmarktpolitischen Förderung springt insbesondere ins Auge, dass die Arbeitslosen, die ALG I beziehen, eine erheblich qualifiziertere und kostenaufwändigere Förderung erhalten, als die im SGB II-System erfassten Personen. Während von 27.103 ALG I-Beziehenden (diese Zahl erfasst Personen, die „nah“ am Arbeitslosenstatus sind) 18.863 Personen, also ca. 70 % an einer beruflichen Weiterbildung teilnehmen, sind es bei den Hartz IV-Beziehenden lediglich ca. 17 %. Also 15.054 von 78.741 Personen, die nach neoliberaler Lesart „nah“ am Arbeitslosenstatus sind. Dies bringt das Zwei-Klassenrecht in der Arbeitsförderung mehr als deutlich zum Ausdruck. Und obwohl von der Förderung ja gerade diejenigen profitieren sollten, die besonders darauf angewiesen sind: Menschen ohne Hauptschul- oder berufsqualifizierenden Abschluss.
Aufstocken trotz Vollzeitbeschäftigung
Eine weitere „Erfolgsmeldung“ soll der Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in NRW sein. Sie betrug im Monat Oktober 2021 (letzter aktueller Datenstand) 7.252.100 Personen. Davon allein ca. 27% in Teilzeit. Eine sozialversicherte Beschäftigung reicht aber seit vielen Jahren häufig nicht mehr zur Finanzierung des Lebensbedarfs. Das kommt sehr deutlich bei den im Hartz IV-System erfassten Menschen zum Ausdruck. Von 235.966 Menschen mit aufstockenden Hartz IV-Leistungen arbeiten gerade einmal 116.547 sozialversicherungspflichtig. Davon lediglich 27.246 in Vollzeit (12%) und 81.706 mit einer geringfügige Beschäftigung (Faktencheck des DGB NRW Dezember 2021).
Die regelmäßig von der offiziellen Berichterstattung nahezu unterschlagenen Menschen im Hartz IV-Bezug werden mit 1.049.422 Mio. Personen angegeben, was der Zahl der sog. „erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“ entspricht. Hinzu kommen noch die Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren mit 428.051 Personen, so dass insgesamt in NRW ca. 1,5 Mio. Menschen registriert sind und damit gezwungen sind, von die Armut Monat für Monat befördernden Hartz IV-Leistungen zu leben. Zu diesen Zahlen verliert der gesamte Arbeitsmarktbericht wie in den Vormonaten kein einziges Wort!
Fazit zur Arbeitslosenzahl
Nach wie vor hält die herrschende Arbeitsmarktpolitik an den menschenunwürdigen sog. Arbeitsgelegenheiten, also 1-Euro-Jobs, fest. In NRW machen sie aktuell 15.447 „Maßnahmen“ aus. Während das Programm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit („Teilhabe am Arbeitsmarkt“) gerade einmal 13.454 Personen erfasst hat. Auch an dieser eklatanten Schieflage soll nach wie vor nichts geändert werden. Der wesentliche Grund für die hartnäckige Beibehaltung von 1-Euro-Jobs liegt darin, dass sie für die Arbeitsverwaltung bzw. Jobcenter erheblich billiger sind, als wenn, wie im Programm „Teilhabe am Arbeitsmarkt“, zu 100% sozialversicherte Arbeitsverhältnisse gefördert werden. Also die Unternehmen von der Lohnzahlung im ersten Jahr völlig und in den Folgejahren stufenweise befreit sind.
Soweit zu den wesentlichen Fakten der aktuellen arbeitsmarktpolitischen Situation in NRW im Januar 2022.
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