Wahl des Bürgermeisters – ein gefährliches Kapitel für Bürger und Demokratie

Wahl des Bürgermeisters – ein gefährliches Kapitel
Der Parteilose Matthias Raith analysiert die Bedeutung des Bürgermeisteramtes. Foto: M. Raith

Im Herbst ist Kommunalwahl in NRW. Zur Wahl stehen auch die Bürgermeister

von Matthias Raith

Gladbeck – 23.06.2025 – Bürgermeister – Kleine, aber interessante Geschichte: Zur Verhinderung neuer Führer-Konstellationen verordneten die britischen Besatzer nach Kriegsende 1945 den Kommunen an Rhein und Ruhr eine vom Rat zu wählende Doppelspitze. Ein hauptamtlicher Stadtdirektor hatte die Verwaltung zu leiten, der Bürgermeister war nur noch ehrenamtlicher und ziemlich machtloser Repräsentant der Stadt.

Das führte häufig zu unklaren, für die Bürger verwirrenden, intransparenten Entscheidungen im Zusammenspiel von, Rat, Parteien und Verwaltung. Die Bürgermeister waren zwar das „Gesicht der Stadt“. In Wahrheit waren sie aber machtloser „Grüß-Gott-August“, weil ihnen die Verwaltung nicht unterstand. 1994 übertrug das Land Aufgaben und Funktionen der bisherigen „Doppelspitze“ komplett auf die Bürgermeister. Die Furcht vor einem undemokratischen „Führer“-Gehabe bestand nicht mehr. Die Bürgermeister haben seitdem eine robuste, demokratische Legitimation und die Bürger mit der Direktwahl ein starke Mitspracherecht erhalten.


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Ergebnis: Bürgermeister leiten die Verwaltung ihrer Stadt…

…Sie sind außerdem Vorsitzende des Rates und haben die Rechtmäßigkeit seiner Beschlüsse zu überwachen. Und nebenbei repräsentieren sie ihre Stadt nach außen und gegenüber der Einwohnerschaft.

Die verantwortungsvolle Wahrnehmung dieser Aufgaben ist für die Gestaltung der Stadt und Lebensqualität ihrer Bürger von ausschlaggebender Bedeutung. Bürgermeister sollten deshalb Persönlichkeiten sein, die verantwortliche Erfahrung im Umgang mit komplexen, politisch bestimmten Verwaltungen, Organisationen und Netzwerken vorzuweisen haben.

Der Kampf um das Bürgermeisteramt in Gladbeck geht los

Erfolgreiche, berufliche Lebenserfahrung ist insbesondere bei der Führung der kommunalen Verwaltung gefragt. Leitende Mitarbeiter im Rathaus gehören nicht unbedingt zur „Hausmacht“ ihres Vorgesetzten. Sie sind eher den maßgebenden Parteien verpflichtet und nicht kündbar. Enge Anbindungen in informelle, politische Konstellationen und Personen, Netzwerke z.B. von Rat, Parteien, Betrieben, Verbänden, Kirchen etc. bekommen schnell ein schwer durchschaubares Eigenleben, wenn Mitarbeiter nicht konsequent vom „Chef“ überzeugt und achtungsvoll geführt werden.

Die politischen und gesellschaftlichen Kräfte haben gelernt, wie sie im politischen Spiel mit dem neuen Bürgermeister-System umgehen, zum eigenen Nutz und Frommen. Dabei kann man in so manchen Kommunen breit angelegte, unselige Allianzen beobachten. Sie sorgen mit großem Geschick dafür, dass sich der Bürgermeister unter Hintanstellung seiner Hauptpflichten vorwiegend nicht so sehr um seine sachliche Leitungsfunktion, sondern weitgehend um die repräsentative Seite seines Aufgabenfeldes kümmert. Anders als es die Gemeindeordnung von 1994 vorsieht; gewissermaßen als Grüß-Gott-August Zwei Punkt Null. Das ist für die kommunale Demokratie und insbesondere für die Wähler und Bürger schwer erträglich.

Ein kurzer Überblick zeigt, wer da wie mitmischt:

Der Bürgermeister-Kandidat selbst

Mehrheiten und ein Monatseinkommen von – je nach Größe der Stadt von 10.000 Euro monatlich aufwärts – bekommt man nicht, wenn man sich bei den großen, strittigen Themen mit komplexen, eigenen Argumentationen positioniert. Viele Wähler schätzen das nicht, obwohl argumentbasierte Auseinandersetzungen unverzichtbares Kernstück demokratischer Kultur sind. Wahltaktisch besser punktet der Kandidat, wenn er sich bei gesellschaftlichen Gelegenheiten sympathisch in den Mittelpunkt stellt und wohlgefällig redet. Fotos mit gut gelauntem, strahlenden Gesicht bringen mehr Stimmen als Ausführungen des Kandidaten, wie er schwierige Probleme lösen möchte.

Die Strategen der Parteien

Die Parteien stellen in der Regel ihren Kandidaten für das Bürgermeisteramt auf. Der ist auf sie angewiesen. Die Partei organisiert und finanziert seinen = ihren Wahlkampf. Wirklich für die Bürgermeister-Führungsrolle geeignete, durchsetzungsstarke Kandidaten sind für die Ränkeschmiede in den Hinterzimmern aber hinderlich. Sie heben lieber einen Kandidaten auf den Thron, wenn er sich „solidarisch“ einbinden lässt in die von ihnen verfolgten Projekte. Entscheidend für Aufstellung und Zusammenarbeit sind nicht Sachkompetenz, sondern Parteizugehörigkeit, parteiinterne Verdienste, Wille zur Folgsamkeit und Selbstbescheidung auf die Repräsentation. Letzteres fällt dem Kandidaten leicht, insbesondere, wenn Analyse und Darstellung von schwierigen Sachthemen gar nicht seine Stärke sind. Wer als Bürgermeister zu eigenständig ist, riskiert seine Wiederwahl.

Superstar gesucht

Mitunter machen sich Parteien noch nicht einmal die Mühe, auf ihren Veröffentlichungen bzw. Webseiten darzustellen, aufgrund welcher persönlichen und beruflichen Fakten ihr Kandidat für das Amt des Bürgermeisters qualifiziert sein soll. Die damit ahnungslos gehaltenen Bürger sollen ihre Wahl offensichtlich anhand der ihnen präsentierten Strahlemänner-Fotos treffen. Parteien verhöhnen damit die Souveränität der Wahlbürger. Sie dimmen die Wahl des wichtigsten Postens der Stadt absichtlich auf das Niveau von DSDS („Deutschland sucht den Superstar“) des Reklamesenders RTL herunter. Das schadet der Demokratie und der betroffenen Stadt. Politikverdrossenheit kommt nicht von ungefähr.

Grotesk erscheint, wenn auch kleine Parteien ohne die geringste Chance eines Wahlerfolgs eigene Bürgermeisterkandidaten aufstellen. Damit nützen sie weder der Stadt noch der Demokratie, sondern nur sich selbst. Sein Name, seine auf Plakaten gut bearbeiteten Fotos samt flottem Spruch bringen, so die wahre Hoffnung der Kleinen, zusätzliche Sitze im Rat. In der Regel ist keiner der so Auserkorenen erfahrener Verwaltungsfachmann, was als Alternative zum Platzhirsch sachlich angemessener wäre. Jedenfalls aber (wichtig!) kann der von den Kleinparteien gekürte, verdiente Parteigänger nach dem nutzlosen Wahlkampf sein Fotoplakat zur bleibenden Erinnerung in seinem Partykeller aufhängen.

Die Stadtverwaltung

Auch die leitenden Kräfte in der Stadtverwaltung profitieren von einem Bürgermeister, der sich schon im Wahlkampf und im Amt in erster Linie fotogen und menschlich attraktiv präsentiert, sich aber aus wesentlichen Sachthemen heraushält. Sie tun deshalb viel, damit dem Bewerber bzw. Amtsinhaber das Repräsentieren gefällt. Es soll im Ruhrgebiet Städte geben, die zur Verbreitung wohlgefälliger Nachrichten rund um die Repräsentanz-Aktionen ihres Bürgermeisters mehr Personal im Rathaus beschäftigen als alle Mitarbeiter der Printmedien ihrer Stadt zusammen. Wenn die Wähler der Verwaltung auf diese Weise einen schwachen Chef bescheren, gewinnen Subalterne ihnen nicht zustehende „Beinfreiheit“ für ihre Lieblingsthemen und teuren Spielchen. Die können sie mitunter informell mit parteipolitischen Kräften ausbaldowern, ohne dass sie die führende Hand ihres Chefs zu spüren bekommen.

Die Lokalpresse

Auch die örtliche Presse profitiert von schwachen Kandidaten und Bürgermeistern. Lokalredaktionen von Printmedien sind aus wirtschaftlichen Gründen chronisch unterbesetzt. Befassung mit einem Bürgermeister-Kandidaten, der sie mit pointierten Ansichten zu Recherchen und Analysen zwingt, ist für sie mangels eigener Kompetenz und gutem Personal kaum mehr darstellbar. Besser sind freundliche Nachrichten aus dem Rathaus rund um den freudestrahlenden Chefkandidaten. Damit können die Redaktionen die fürs Lokale vorgesehenen Seiten füllen und Abos halten. Zeitungsleser mögen ihre heile Heimat. Die große Welt ist schlecht genug.

Das vom Rathaus orchestrierte und vom Steuerbürger bezahlte Zusammenspiel zwischen Stadt und Presse funktioniert wie geschmiert. Eigentlich hat die Presse die Aufgabe zur überwachenden Begleitung der anderen Staatsorgane. Aber: auch überlastete Journalisten und klamme Verleger schlagen nicht die Hand, die sie kraftschonend, umsatzsteigernd und kostensenkend füttert. Auf der Strecke bleiben demokratische Transparenz und die Interessen der Bürger.

Diese Missstände präsentieren sich längst als Normalität, weil ja alle mitmachen. Umso bemerkenswerter ist deshalb, dass Bürger in einem Drittel der NRW-Kommunen schon bei der letzten Kommunalwahl mehrheitlich parteilose Persönlichkeiten zum Bürgermeister gewählt haben. Das hat in vielen Fällen nicht nur frischen Wind, sondern auch erstaunliche Erfolge für Lebensqualität und Wohlstand in ihre Städte gebracht. Solches Aufbrechen verkrusteter Verhältnisse braucht Mut. Es kann dann Erfolg haben, wenn möglichst viele Parteien, Initiativen und Bürger gemeinsam – weit über die Grenzen ihrer Stadt – unabhängige Kandidaten suchen und ihnen im Wahlkampf zur Seite stehen.

Anmerkung: Den obenstehenden Text habe ich den Gladbecker Medien mit der Bitte um Veröffentlichung zugeleitet. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich für bessere Lesbarkeit durchgehend nur vom Bürgermeister rede, obwohl in Gladbeck eine Bürgermeisterin „regiert“ und kandidiert. Meine Anmerkungen befassen sich aber nicht mit Gladbecker Verhältnissen, sondern allgemein mit NRW-Kommunen. Leser, die wissen möchten, ob das Gesagte auch für weibliche Kandidaten gilt, wünsche ich viel Freude beim Ergänzen passender weiblicher Formen. Der „Strahlemann“ wäre dann nach meinem Sprachverständnis eine „Strahlefrau“, der „Grüß-Gott-August“ eine „Augustine“.

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